Tracing Bach

Lyonel Feininger: Der Dom in Halle (1931). 

Fügsame Fugen?

Die freie Zeit des Corona-Jahrs brachte mich zu Fugen, die Jahrzehnte nach Bach entstanden sind und die als „ledige“ konzipiert wurden: also zu solchen, die nicht schon mit einem Präludium verkoppelt sind. Die „schönsten“ habe ich zunächst in einer Reihe gespielt, dabei entstand aber kein Gebilde im ästhetischen Sinne: Die Fugen schalteten sich gleichsam gegenseitig aus, wie wenn sie nach einem Puffer, nach einer Trennung durch „fremden“ Stoff verlangen würden.

Die Suche nach geeigneten Prä- oder Postludien als gehobene „Zwischenmusik“ erwies sich jedoch anfangs als unbefriedigend: So sehr sehnte ich mich nach den Präludien aus Bachs Wohltemperierten Klavier, das bekanntlich für jede Tonart zwei Kompositionen liefert.Jeweils eines davon, das mir spontan am besten zu passen schien, stellte ich also der entsprechenden Fuge zur Seite, und sah (und hörte), dass es gut ward: Das BachPräludium und die Fuge, die eventuell 70 oder 100 Jahre späterzur Welt gekommen ist, ergänzten sich schön und stimmig, beleuchteten sich gegenseitig neu und erfrischend. Es war eine verblüffende Erfahrung!

Als ich Reinhard Febel von dieser Repertoire-Idee erzählte, bot er mir sofort an, eine neue Fuge zu komponieren, um diese Auswahl zu erweitern und sie zu aktualisieren. Da seine Tempus Fugit in d-Mollsteht und ich schon beide d-Moll Präludien aus dem Wohltemperierten Klavier eingesetzt hatte, kam mir die charmante Gavotte in dieser Tonart aus der 6. Englischen Suite zur Hilfe.

Es vergingen mehrere Monate des Erarbeitens, bis mir allmählich aufging, dass sich alle diese Fugen tatsächlich motivisch/thematisch auf das dazu gepaarte Präludium beziehen. Unweigerlich stellt sich nun die Frage, ob der jeweilige Komponist diese Tatsache bewusst gesteuert hatte, ob er also quasi eine „Alternative“ für die Bachsche Lösung anbieten wollte, oder ob er in dieser Hinsicht eher unbewusst dem Kompositionsprozess gefolgt war.

Bei manchen Komponisten beantwortet sich diese Frage fast von selbst: Wilhelm Friedemann Bach kannte natürlich die Werke seines Papas, und auch bei Lyonel Feininger, der seine Fuge in der raren Tonart es-Moll komponierte, dürfte es wohl ebenso wenig Zufall sein!

Yaara Tal

Napoléon Alkan | Reinhard Febel