POLONAISE

Franz Xaver Mozart 1825 (K. G. Schweikart) | Frédéric Chopin 1829 (A. Mieroszewski). 

Franz Xaver Mozart oder die Geburtsstunde der Romantischen Polonaise

Die Ungunst der Stunde wollte es, dass der Sohn nur vier Monate vor dem Tod des Vaters geboren wurde. Doch obwohl die Zeit fehlte, den Vater noch kennenzulernen, sollte sein Schicksal ein Leben lang an den berühmten Vater gebunden bleiben. Die Strategie, mit der die Mutter Constanze sein Dasein als Sohn inszenierte, machte aus ihm einen Artikel, der zum Label Mozart gehörte, den die Mutter so gut zu vermarkten wusste. Dem von Natur aus sehr zarten Kind war die Rolle des erfolgreichen, genialen Erben zugedacht: Ruhmreich wie der Papa zu sein war Auftrag und Befehl zugleich. Dass er trotz dieses enormen Drucks überhaupt eine Existenz als Musiker führen konnte, ist wohl das untrüglichste Zeichen für seine außergewöhnliche musikalische Begabung als Pianist und Komponist.

Der Wechsel nach Galizien mit siebzehn Jahren hätte ein Befreiungsschlag sein können, ein Durchbruch ins Eigene – und fast wäre es ihm auch geglückt! Die Polonaisen, die zwischen 1811 und 1818 entstanden, werfen ein helles Licht auf diese Verheißung. Weisen die zahlreichen Variationswerke für Klavier auf die virtuose und eigenwillige Benutzung der Tastatur und der Hand hin, so offenbaren die Polonaisen den Drang und die Sehnsucht nach einer neuen Welt und Ausdrucksweise, die nicht mehr in der Klassik ver- wurzelt ist. Doch wohin und wie weit die seelische Wanderung noch hätte führen können, bleibt im Ungewissen, da die Zeit und der Geist dafür noch nicht reif waren.

Aber just dieses Schweben in stilistischer Ungewissheit, das Bekenntnis zum Bezug-Entzug verleiht diesen Piecen ihren eigentümlichen Reiz. Und es mutet beinahe paradox an, dass der Ausdruck einer so vagen Befindlichkeit im Laufe der Entstehungszeit der Polonaisen an Klarheit und Kühnheit noch gewinnt! Besonders charakteristisch sind die unzähligen Ausführungszeichen, die Dynamik und Tempo betreffen. Da könnte es Franz Xaver durchaus mit Mahler und Reger aufnehmen! Die Anweisungen für die Spieler sind biswei- len recht widersprüchlich und deuten in diverse Richtungen – und dies auf engstem Raum. Damit hob er sich klar von der Praxis des Vaters ab, der mit solchen Empfehlungen bekanntlich höchst sparsam umging. Ähnlich hinge- gen ist Franz Xaver dem Vater, wenn es um die perfekte Bildung der Harmonie auf der Tastatur, um das Verteilen der Töne, um vollkommene Balance und polyphone Stimmführung geht, die für beide Mozarts gleichermaßen charakteristisch sind.

Ungnädig war das Schicksal auch, als Franz Xaver sich in eine Frau verliebte, die bereits vergeben war, seine Liebe jedoch erwiderte. Diese Beziehung brach bis zu Mozarts Tod nicht ab. Das Unbehaustsein wurde zum integralen Bestandteil seines Gefühlslebens, das er aushalten musste: Zum einen der Schatten des übermächtigen Vaters, zum anderen die recht ehrgeizige, zu einer gewissen Einfalt neigende Mutter, und schließlich die Frau seines Lebens, die er mit einem anderen teilen musste… Dass sein Leben stark melancholische Züge annahm und seine Lebensenergie mit den Jahren schwächer wurde, ist ebenso traurig wie nachvollziehbar.

Aus heutiger Sicht kann man dem Werk Franz Xaver Mozarts den ihm gebührenden Platz zuweisen: Keiner vor ihm hat dieses so eigentümliche Lebensgefühl in den Polonaisen so zu gestalten gewusst wie er, und viele Wendungen, Gesten, Linien und rhythmische Motive, die er miteinander verwob, fanden später den Weg in das, was wir Romantik nennen.

Dass der junge Chopin – der während seiner Kindheit ausschließlich Polonaisen komponierte – Franz Xaver Mozarts Zyklen kannte, ist zwar nicht belegt, aber durchaus möglich, zumal sein Klavierlehrer, der Böhme Vojtech Živný, mit allen musikalischen Neuheiten aus der Donaumonarchie vertraut war. Es ist nicht auszuschließen, dass Chopin als Kind den konzertierenden Pianisten Mozart in Warschau erlebt hat! Die Bedeutung der Nocturnes von John Field (1782 -1837) für das Werk Chopins steht inzwischen außer Frage und ist gut dokumentiert. Ist es mehr als ein skurriler Zufall, dass Fields Geburtstag (26. Juli) mit jenem Franz Xaver Mozarts übereinstimmt, der Chopin womöglich den Weg in „die Polonaise“ gewiesen hat?

Yaara Tal

Diese CD ist am 4.8.2017 erschienen