Der Komponist Reynaldo Hahn (1907). Ein Portrait von Lucie Lambert.
Im Januar 1915, vor genau 100 Jahren, komponierte Reynaldo Hahn (1874 – 1947) drei „Wiegenlieder“ für einen schwer verwundeten Soldaten. Diese köstlichen Miniaturen, voll Esprit und Intimität, liefern ein Beispiel für die intensive und höchst individuelle Auseinandersetzung französischer Musiker mit dem Thema „Krieg“. Hahn selber wurde eingezogen und musste an die Front, wo er trotz eines martialischen Alltag Zeit und Muse gefunden hat, eine umfangreiche Walzer-Suite mit dem Titel „Le ruban dénoué“ (Das entknotete Band) zu komponieren. Ein erstaunlicher Zyklus, der von den Wirren und dem Leid des Krieges allerdings keine Spur aufweist. Die Musik pendelt zwischen verträumt-sentimentalen und verführerisch-schwärmerischen Tänzen, die eher einen Gegenentwurf als eine Schilderung der damaligen Realität präsentieren. Reynaldo Hahn, wenn überhaupt eher als Lied- und Chansonkomponist bekannt, entwickelte eine äusserst raffinierte und eigenwillige pianistische Schreibweise, die nur scheinbar einfach und selbstverständlich klingt, dabei aber im Detail (für den Spieler) unvorhersehbar und teilweise auch rätselhaft bleibt.
Dagegen fühlen sich die im Stil viel avantgardistischeren Debussy-Preziosen eher geradlinig an. Das enigmatische Triptychon „En blanc et noir“, ein „Kriegsstück“ par excellence, ist ein komplexes Werk, gespickt mit zahllosen gedanklichen und begrifflichen Elementen in Form von (musikalischen) Zitaten, verbalen Mottos, widersprüchlichen Spielanweisungen, schriftlichen Begleiterklärungen etc etc. Der kulturell-politische Hintergrund dieses Werks ist die Kampfansage Debussys an „das Deutsche“ im Allgemeinen, und insbesondere an Richard Wagner als dessen künstlerischer Hauptvertreter. (Mehr zu diesem Thema findet sich als eine PDF Datei in der Abhandlung „Zurück vom Ring!“ am Ende dieses Beitrags)
Die jeglicher Realität fernen „Six Épigraphes antiques“ gehen in ihrer Ungebundenheit an tradierter Musiksprache noch einen Schritt weiter und schaffen eine eigentümliche Mixtur zwischen Deskription und Abstraktion.
Ein Blick auf die genauen Satzangaben und angehängten Texte (s.u.) öffnet den Einblick in einen Raum voller Poesie, die der ohnehin bereits sinnlichen Klangwelt einen zusätzlichen Inspirationsschub und Phantasiereiz verleiht.
- 1915-Satzangaben, Überschriften (PDF)
- „Zurück vom Ring!“ (PDF)
- Debussy: En blanc et noir. Partitur (PDF)
mit freundlicher Genehmigung des G. Henle Verlag
Diese CD erschien am 14.8.2015.